Geschichte
Das Kugelkreuz ist keine Neuschöpfung; es hat eine lange Geschichte und taucht erstmals im 6. Jahrhundert auf einer Amborverkleidung (Relief) in Ravenna auf. In St. Petersburg wird ein ebenfalls aus dem 6. Jahrhundert stammendes Medaillon aufbewahrt, das byzantinischer Herkunft ist und ein hoch aufragendes Kreuz auf einer kreisrunden Scheibe erkennen lässt. Es ist ein Triumphkreuz, das von zwei Engelgestalten flankiert wird. Die christliche Ikonographie macht keine eindeutigen Angaben zur Deutung dieses Symbols. Im frühen Mittelalter bereits gab es das Symbol als Kugel verbunden mit dem Kreuz und kann in dieser Zeit noch nicht als Erdkugel verstanden werden. Das ptolemäische Weltbild kannte die Erde nur als Scheibe. Es ist zu vermuten, dass die Kugel, die das Kreuz trägt, abgeleitet ist vom Apfel. Der altjüdische My thos berichtet im Alten Testament, dass der Apfel die Unheil bringende Frucht aus dem Paradies sei. In der Hand des Jesuskindes, so seit dem 11. Jahrhundert nachweisbar, ist der Apfel das Symbol der Überwindung und Erlösung von der Sünde. Bei spätgotischen Madonnenfiguren taucht das Symbol Kreuz auf der Kugel ebenfalls auf und steht im gleichen Deutungszusammenhang. Als goldener Reichsapfel, zu den Insignien der weltlichen Herrscher gehörend, darf ein ähnlicher Zusammenhang gesehen werden. Er symbolisiert zweierlei: das Beherrschen der "Verderbtheit der Menschen" durch königlich/kaiserliche, von Gott verliehener Macht; aber er steht auch sinnbildlich für die Verführbarkeit des Menschen durch Macht als ständige Gefährdung. Über der kaiserlichen Reichsmacht steht Gottes Antwort fordernde Autorität; der Mensch ein verantwortliches Wesen. |
Weltliche Rechtsprechung (justicia) wird mit dem Symbol der Waage dargestellt. Der Heilige Antonius wird gelegentlich dargestellt mit einer Waage, in deren einer Schale ein Apfel, das "Gewicht der Sünde" symbolisierend, liegt. Es gibt aber im Mittelalter eine Variante: das im Weltkreis stehende und den Kreis/die Scheibe überragende Kreuz. Der Kreis ist dort in drei Sektoren geteilt (zwei Viertelsektoren und ein Halbkreissektor). Der Mittelpunkt des Kreises, bei dem das Kreuz aufzuragen beginnt, deutete auf Jerusalem, damals verstanden als Mittelpunkt der Welt, Europa als Halbkreissektor, Asien und Afrika je als Viertelkreissektor. Dieses Symbol verdeutlicht das Verständnis: Christus eint die bewohnte Erde, die oikumene. |
Damit sind wir sehr dicht an der Deutung des Kugelkreuzes für die Evangelische Jugend. In der Zeit der Auseinandersetzung zwischen den so genannten "Deutschen Christen" und der "Bekennenden Kirche", in der Zeit des Hitlerfaschismus, wurde das Symbol "Kugelkreuz" zum Ausdruck dessen, was im Barmer Bekenntnis der "Bekennenden Kirche" von 1934 (besonders These 2) formuliert wurde. Mit Bezug auf 1. Korinther 1, 30 heißt es dort: "Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben; durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen. - Wir verwerfen die falsche Lehre, als gäbe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären, Bereiche, in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heilung durch ihn bedürften." Es war die Evangelische Jugendkammer der Bekennenden Kirche, die das Symbol Kugelkreuz zum Bekenntniszeichen der evangelischen Jugendarbeit auswählte. Die Initiative lag bei dem damaligen Leiter des Evgl.Burckhardthauses, Pfarrer Otto Riethmüller und dem Künstler Rudolph Koch, der sich intensiv mit christlicher Symbolik beschäftigte. Otto Riethmüller wurde kurz vor der Auflösung aller evangelischen Jugendverbände, bzw. der Eingliederung der Reste der Evangelischen Jugendverbände in die Hitlerjugend, Vorsitzender der Jugendkammer der Bekennenden Kirche. Die Jugendkammer nahm den Vorschlag von Koch und Riethmüller an, das Kugelkreuz als Bekenntniszeichen den Jungen Gemeinden anzubieten. Mit dem Tragen dieses Symbols war eine entschiedene Haltung gegen Versuche der Nationalsozialisten verbunden, eine gleichgeschaltete evangelische Reichskirche zu schaffen. Die Evangelische Jugend traf sich unter diesem Zeichen fortan als Junge Gemeinde. Nach der Zerschlagung des Faschismus in Deutschland und dem Ende des zweiten Weltkrieges bildeten sich wieder die verschiedenen Verbände der Evangelischen Jugend und fanden in der Jugendkammer der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ihren Zusammenschluss Am 28.1.1947 beschloss diese Jugendkammer in Bethel die "Ordnung der Evangelischen Jugend in Deutschland" und dazu im Mai 1946 " Bestimmungen für die Ausgabe des Zeichens der Evangelischen Jugend Deutschlands ". Das "Kugelkreuz" wurde als Bekenntnis- und Verbandszeichen der Evangelischen Jugend einstimmig angenommen. |
In den westdeutschen Landeskirchen (BRD) erhielten die evangelischen Jugendlichen das "Kugelkreuz" als Anstecknadel zusammen mit einer " Verleihungskarte", sofern man Mitglied einer Gliederung der Evangelischen Jugend war. In den ostdeutschen Landeskirchen (ehemalige DDR) gab es keine Mitgliedschaft in einem Verein oder Verband. Durch Taufe und Konfirmation gehörte man zu einer Gemeinde, wurde eingeladen zur "Jungen Gemeinde" und erh ielt die Anstecknadel in der Regel nach einem Jahr regelmäßiger Teilnahme an den Veranstaltungen der "Jungen Gemeinde" in einer gottesdienstlichen Veranstaltung (Monatsrüste o.ä.) überreicht mit den Worten aus 1. Johannes 5,4 "Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat". Angesichts des Alleinvertretungsanspruchs der FDJ (Freie Deutsche Jugend), stand in der Zeit der DDR mehrfach zur Diskussion, ob sich hinter der Bezeichnung "Junge Gemeinde " möglicherweise eine zweite Jugendorganisation verberge, die es zu verbieten gelte. |
Besonders schwerwiegende Auseinandersetzungen gab es in den Jahren 1952/53 und 1958 mit Lehrern und FDJ-Sekretären, die nicht selten mit Schulverweisen von den Oberschulen endeten und bis 1961, dem Bau der Mauer, nicht selten zu einem Wechsel des Wohnortes in die Bundesrepublik Deutschland führten. Angesichts einer sich massiv und militant formierenden atheistischen Propaganda war das Tragen der Anstecknadel ein öffentliches Bekenntnis zur Botschaft des Evangeliums und auch ein Protest gegen Ignoranz und Intoleranz der Gesellschaft formenden Machthaber der DDR. Bekenntnis-, Verbands- und Qualitätszeichen der Evangelischen Jugend ist das Kugelkreuz in "Ost" und "West" bis heute geblieben. Unter diesem Zeichen ist die "Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e.V." der jugendpolitische Zusammenschluss aller evangelischen Verbände und Strukturen (Junge Gemeinde, Kreis- und Landesjugendkonvente, Ämter für Kinder- und Jugendarbeit der evangelischen Landeskirchen, CVJM, EC, VCP, RMJ). Besonders in der ehemaligen DDR kam in der Evangelischen Jugend ein zweites Symbol hinzu, das ebenfalls Bekenntnischarakter trug und bis heute an Bedeutung nicht verloren hat: das Symbol "Schwerter zu Pflugscharen", das in der evangelischen Jugendarbeit der Evgl. Luth. Landeskirche in Sachsen/Dresden 1980 entstanden ist und jedes Jahr im November in der Ökumenischen FriedensDekade auf brennende Weltprobleme hinweist. Mit beiden Symbolen wissen sich evangelische Jugendliche getragen von der befreienden Botschaft Jesu von Nazareth und suchen in der Beschäftigung mit den Worten der Bibel ihren Weg zu gelingendem Leben und zur Wahrnehmung von Verantwortung in Kirche und Gesellschaft. In jüngster Zeit bekommt das Kugelkreuz verstärkt Bedeutung in den Jungen Gemeinden. In der ehemaligen Kirchenprovinz Sachsen, der heutigen Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, hat man begonnen, das Kugelkreuz zur Konfirmation den Jugendlichen zu überreichen. Es ist durchaus vorstellbar, dass auch in anderen Evangelischen Landeskirchen und Evangelischen Freikirchen diese Anregung aufgegriffen wird, und junge Menschen damit ihr Bekenntnis zu Jesus Christus in eine weithin säkularisierte Umwelt tragen. Text: Gerhard Bemm MAIL |